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Martin Oswald

Wer denkt für die Welt von morgen? Digitalisierung braucht Philosophen


Ein Roboter meisterte im Oktober 2018 eine Pressekonferenz in Kiev.

Wie hat sich doch unsere Freizeitgestaltung verändert. 14–29-Jährige verbringen neusten Studien zufolge sechs Stunden täglich online. Schöne Momente werden auf Instagram mit dem Rest der Welt geteilt, mit Freunden steht man via Whatsapp in digitalem Dauerkontakt. Auf der Wanderung im Wald hilft uns Google Maps den Weg zu finden, auf der Fahrt in die Ferien buchen wir via Hotelplattform rasch eine Übernachtung, die wir direkt digital bezahlen. All das fühlt sich logisch an — als wäre es nie anders gewesen.


Das Silicon Valley hat sich aufgemacht, uns punkto Kommunikation und Unterhaltung Wünsche zu erfüllen, von denen wir nicht einmal wussten, dass wir sie haben. So vieles, was von Kalifornien aus die Weltmärkte erobert hat, macht Spass: Neue Social-Plattformen, Drohnen, Virtual Reality, Games, Shopping, Uber, Airbnb.


Auch unsere Arbeitsprozesse haben in den vergangenen 30 Jahren eine regelrechte Revolution erfahren. Während wir vorher für jede Funktion ein eigenes, oft kostspieliges Gerät brauchten, finden wir heute die meisten dieser Möglichkeiten in unseren Smartphones und Computern wieder.



Ob all den Verlockungen vergessen wir allzu leicht, welch zentrale gesellschaftlichen Fragen mit diesem technologischen Fortschritt einhergehen — und noch weitgehend unbeantwortet sind.


Fragen über Fragen

  • Wer bezahlt unsere Löhne, wenn es immer weniger klassische Arbeit gibt?

  • Wer hat die Macht über unsere Daten, wenn ein paar wenige grosse Firmen unser Verhalten im Internet beherrschen.

  • In welche Schranken weisen wir die künstliche Intelligenz?

  • Wie schützen wir die Erde, während wir ihr jeden Rohstoff für unsere Konsum- und Wegwerfgesellschaft entnehmen?

  • Wie sichern wir den gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhalt, wenn der Diskurs in den digitalen Echokammern zunehmend polarisiert verläuft?

Wer denkt für die Welt von morgen?

Hier kommt den Geisteswissenschaften in Lehre und Forschung eine zunehmend wichtige Rolle zu. Politiker können oder wollen dies nicht leisten; ihr Handeln ist zu stark auf kurzfristige Erfolge innerhalb einer Legislatur ausgerichtet. Wir brauchen darum mehr Philosophen, Vor- und Querdenker. Menschen, die frei von jeder Agenda und von persönlichen Interessen Handlungsspielräume für morgen und Wege für zukünftige Generationen skizzieren.


Informatik ohne Ethik

Der deutsche Tech-Journalist Luca Caracciolo forderte unlängst in einem vielbeachteten Artikel eine Renaissance der Geisteswissenschaften. Mehr denn je müsse nicht nur Informatikstudenten — aber vor allem ihnen — ein Grundverständnis davon vermittelt werden, was Ethik ist, wie Politik funktioniert und wie Technik auf Gesellschaften wirkt. Die philosophischen Aspekte gehören auch denen vermittelt, die den Code des Fortschritts schreiben.


Sexismus, Rassismus und Extremismus haben in den vergangenen Jahren die «sozialen» Netzwerke regelrecht verseucht. Die bisherigen Bemühungen und Versprechen von Facebook und Co. blieben wirkungslos. Immerhin hat auch das Silicon Valley Handlungsbedarf ausgemacht; so plant die Stanford University eine Initiative zu «Ethik, Gesellschaft und Technologie». Der ehemalige Google-­Ingenieur Tristan Harris hat­ das «Center for ­Humane ­Technology» gegründet und fordert ein Umdenken in der Technologieentwicklung hin zu einer stärkeren Ausrichtung an menschlichen ­Bedürfnissen.


Die Entwicklung von Technologie ohne Ethik birgt schon heute Gefahren. Im Umgang mit künstlicher Intelligenz werden fehlende ethische Leitplanken fatale Folgen haben.

Um solche Leitplanken zu definieren, brauchen wir mehr Reflexion über die rasend schnelle Entwicklung. Philosophen, die nicht der neusten Erfindung hinterherlaufen, können uns dazu Denkanstösse liefern, wie wir als Gesellschaft mit all den Möglichkeiten umgehen sollen und wie wir den technologischen Wandel nachhaltig und sozialverträglich mitgestalten können.

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