Chef*in wird, wer etwas besonders gut kann. So sind Kaderpositionen meist mit hervorragenden Fachspezialist*innen besetzt, aber selten mit Führungspersönlichkeiten.
Wolfgang hatte es drauf. Monat für Monat lag er im internen Verkaufsranking an der Spitze. Er hatte Charme, konnte den potenziellen Kundinnen und Kunden ihre Wünsche von den Augen ablesen, war zupackend und erfolgshungrig. “Unser bester Verkäufer, sie werden hier noch Karriere machen”, pflegte seine Abteilungsleiterin zu sagen. Und so kam es: Wolfgang wurde zum Chef der Aussendienstabteilung ernannt und hatte fortan ein Team mit 18 Verkäufern unter sich.
Statt weiter mit dem Firmenwagen auf Kunden-Tour zu gehen und mit unterschriebenen Verträgen zurückzukehren, musste Wolfgang fortan die Finanzen im Griff halten, eine neue Software einführen und Mitarbeitergespräche führen. Die Erträge seiner Abteilung gingen zurück und das Leuchten verschwand aus Wolfgangs Augen. Er war auf dem Chefsessel eine Fehlbesetzung. Aber wie konnte das sein, war er doch der beste Verkäufer von allen?
Wolfgang ist keine Ausnahme. Wolfgang ist die Regel. Besonders talentierte Mitarbeitende tauchen über kurz oder lang auf dem Radar des Managements auf und werden alsbald befördert. Da eine Beförderung meist mit mehr Lohn und sozialem Ansehen verbunden ist, lehnt kaum jemand ein solches Angebot ab.
Der Mechanismus der hier spielt, ist nur allzu gut nachvollziehbar und dennoch ein unternehmerischer Irrtum. Die Betroffenen werden in vielen Fällen ihrer beruflichen Leidenschaft beraubt, ihrem Talent, der Tätigkeit, für die sie jeden Morgen gerne aufstehen. Und das Unternehmen besetzt Schlüsselrollen mit Menschen, die für Personalführung oder Strategiearbeit ungeeignet oder gar hinderlich sind.
Kern des Problems: Chef*in sein wird nicht als eigenständiger Beruf anerkannt. Dabei bedarf es genau für diese anspruchsvolle Aufgabe spezifische Fähigkeiten und Charaktereigenschaften. Es geht nicht mehr um die klassische Rolle, Chefin oder Chef zu sein und Mitarbeitende anzuweisen. Nicht umsonst kreist die Management-Literatur seit Jahrzehnten um den Begriff des Leaderships.
Aber was bedeutet Leadership? Leadership bedeutet in den allermeisten Fällen, sich aus der fachspezifischen Kerntätigkeit zu verabschieden. Eine Bankdirektorin muss keine Anlagen verkaufen, ein Medienmanager muss keine Artikel schreiben, eine Finanzchefin muss keine Buchhaltung machen. Leader haben andere Aufgaben:
Rahmenbedingungen schaffen, damit die Mitarbeitenden ihre Tätigkeiten optimal ausführen können, ihre Stärken und ihr Potenzial erkennen und diese gezielt ausbauen.
Gespräche führen, Konflikte lösen, Feedback geben, Weiterbildung organisieren, fordern und fördern.
Für eine optimale Zusammensetzung eines Teams sorgen, Teamgeist stärken, motivieren und Ziele gemeinsam erreichen, dieses gegen aussen und Druck von oben schützen, damit es in Ruhe seinen Job machen kann.
Durchdacht kommunizieren; überlegen, wann welche Botschaft auf welchem Kanal übermittelt werden soll, einordnen, Zusammenhänge aufzeigen, Fragen stellen/beantworten, Möglichkeiten zum Austausch und Dialog schaffen.
Arbeitsprozesse optimieren oder erneuern.
Sich nicht nur mit dem Heute sondern mit dem Morgen beschäftigen.
Inspiration von aussen ins Unternehmen bringen.
Leadership fokussiert auf das Wie und weniger auf das Was.
Je mehr sich Chef*innen in operativer Hektik verlieren, umso mehr fehlt ihnen der Blick für die grossen Entwicklungen. Und die sind es letztlich, welche ein Unternehmen durch die raue See aus Digitalisierung, Pandemie und kontinuierlicher Transformation führen.
Darum geschätztes Top-Management: Suchen Sie nach Leader*innen, die Menschen lieben, die Veränderung umarmen, die kommunizieren und begeistern können. Sie werden diesen Typ Mensch überall im Unternehmen finden, aber nicht in jedem Fall bei den erfolgreichsten Fachleuten. Und bieten sie diesen alternative monetäre Anreize, sonst ist eine Kaderfunktion der einzige Weg zu einer Lohnerhöhung.
Lieber Martin, Sehr umfassender Text. Ich schliesse mich dir an, dass sich Leader:innen sich nicht in Einzelheiten verlieren dürfen. Das Problem mit Führungskräften in der heutigen Zeit ist die Masse an Information. Persönlich bin ich der Meinung, dass sich die Leader:innen heute in zu viel Informationen ertrinken. Die erwähnten Merkmale eines Chefs sind gut, aber funktionieren nur, wenn sie einordnen können. Stichwort: Vernetztes Denken. 1. Rahmenbedingungen schaffen: Was heisst das genau? Von welchen Rahmenbedingungen reden wir? Arbeitszeit? Oder Arbeitsort? Damit ein Chef oder eine Chefin weiss, was die richtigen und wichtigen Rahmenbedingungen sind, muss natürlich zuerst die Branche und das Unternehmen verstanden werden (Was ja meistens passiert, wenn man zuvor in einer Nicht-Kader-Position gearbeitet hat). Danach muss die Führungsperson ihre Mitarbeiter kennen.…